Geburt der Deichlämmer

Geburt der Deichlämmer

Spezial. Neues von „Luv & Lü“, dem Blog über Menschen aus dem Wangerland:

Crildumersiel ist ein kleiner Ort zwischen den Nordseebädern Hooksiel und Horumersiel/Schillig, von grünen Wiesen umgeben liegt er direkt an einem Deich. Auf dem Deich sehen wir kleine, hüpfende Lämmchen, die ihre ersten Sonnenstrahlen und das frische Gras in vollen Zügen genießen – und wir sind sofort verliebt! Dort, in dieser Idylle, lebt Landwirt und Deichschäfer Thorsten Bargen auf seinem Hof.

Gut gelaunt, aber etwas übernächtigt, macht Thorsten Bargen uns die Tür auf und bittet uns in sein wunderschönes Landhaus. Der Landwirt hat Stress und in der letzten Nacht, wie auch in den Nächten davor, kaum Schlaf bekommen. Die Lammzeit hat begonnen, und das bedeutet für ihn jede Menge Arbeit. 230 bis 250 Muttertiere, je nach Weide- und Deichfläche, sowie bis zu 68 Milchkühe hat er zu versorgen. Er muss mehrfach am Tag Futter holen, Fläschchen machen und ist tage- und nächtelang als Geburtshelfer beschäftigt. „Ein schöner, aber sehr harter Job!“, erzählt uns der Landwirt. „Die Lämmchen kommen auch nachts zur Welt und unter ihnen sind auch mal Pflegefälle, die noch eine intensivere Betreuung benötigen“, erzählt Thorsten weiter. Ohne die Hilfe seiner Mutter, die über achtzig ist und beim Kühe melken aushilft, sowie ohne die Unterstützung seines guten Freundes und der Verwandtschaft, wäre die Arbeit kaum zu schaffen. „Meine Verwandtschaft aus dem Elsass hat sich vor ein paar Jahren in Hooksiel ein Haus gekauft und freut sich jedes Jahr so sehr auf diese Zeit. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Thorsten.

Deichschafe

Dann dürfen wir endlich den Stall betreten und was uns dann erwartet, verschlägt uns erst einmal die Sprache. Als der Schäfer die Tür des sehr modernen, großzügigen und hellen Stalls öffnet, flippen über 200 Schafe vor Freude (in der Hoffnung auf Futter) völlig aus. Mit einer Lautstärke, sodass man sein eigenes Wort kaum noch versteht, hört man pausenlos nur noch „Määäähhhhh, määääähhhh, määhh….“. Für uns klingt das wie ein „Mooooin“ und wir sind begeistert. „Morgens, wenn wir in den Stall kommen, muss man sich fast die Ohren zuhalten. Hungrige Lämmer sind sehr laut“, lacht Thorsten. Ihm macht das aber nichts aus. Ganz im Gegenteil: Er liebt seinen Job über alles! Der Stall ist in viele großzügige Buchten unterteilt. Die Flaschen-Lämmer und die Pflegefälle, die noch Unterstützung beim Trinken benötigen, haben einen separaten Stall nebenan und kleinere Buchten.

Im großen Laufstall dürfen wir mit in die Buchten steigen und plötzlich stehen wir mittendrin im Getümmel. Wir dürfen die Lämmchen streicheln, füttern und ein kleines Wollbündel vorsichtig auf dem Arm nehmen. Das ist der Moment, wo das Wort „Glücksgefühl“ eine neue Bedeutung bekommt und wir kurz darüber nachdenken, eins mit nachhause zu nehmen. Die Wolle umrahmt das Gesicht der Schafe wie bei einem Löwen und genauso verhalten sich die Muttertiere auch, wenn es um die Verteidigung ihrer Kleinen geht. Dann wird mit dem Huf energisch auf dem Boden gestampft. Alle Schafe und Lämmchen haben verschiedenfarbige Nummern auf dem Rücken. Thorsten erzählt: „Das sind Markierungen. So können wir die Mutterschafe und die Lämmer richtig zuordnen.“

Schafe am Deich

Thorsten ist eigentlich eine Art „Greenkeeper“ für die Deiche, denn Schafe sind die idealen Pflegetiere für die Deichflächen. Deswegen nennen die Menschen hier oben im Norden Deichschafe auch liebevoll „kuschelige Rasenmäher“. Thorsten hat hauptsächlich Texel-Schafe. Schafe haben den Vorteil, dass der kurze Verbiss die Grasnarbe nicht zerstört. Anders als ein Pferd, das einfach immer weiter nagt, bis kein Gras mehr wachsen kann. Und durch die kleinen Klauen wird der Deich ideal gefestigt. Wie eine kleine Trippelwalze. „Ich bewirtschafte mit meinen Schafen die Deichflächen zwischen der Schleuse Hooksiel und dem Hafen Horumersiel“, erzählt uns Thorsten. „Mein Ziel ist ja, auch wenn es nicht so kuschelig klingt, das Schlachtlamm, das ich verkaufe, auf ein Gewicht von 40 bis 45 Lebendgewicht zu füttern, um Gewinn zu erzielen. Das Gras auf dem Deich ist sehr gehaltvoll.“

Auf die Frage, wie man eigentlich Deichschäfer wird, antwortet Thorsten: „Angefangen habe ich im Jahr 1996 mit Ackerbau. Seinerzeit habe ich von meinen Eltern einen Hof mit 30 Hektar Ackerland gepachtet. Dort vermiete ich auch Ferienwohnungen. Seit dem Jahr 2000 bin ich hier an diesem Standort und habe begonnen, einen ersten Laufstall zu bauen. Ich habe eine Ausbildung als staatlich geprüfter Landwirtschaftsleiter und dann wollte ich mehr…“, erzählt uns Thorsten. Er liebt Neues, den Wandel, das Wagnis. Denn nichts ist langweiliger und geisttötender, als in seinem eigenen Saft zu schmoren. „Das Kaufmännische hat mich immer gereizt und so habe ein längeres Praktikum in der Steuerbranche absolviert, weil mich dieser Bereich interessiert hat. Im Winter war das alles ok für mich, aber als im Frühling die ersten Sonnenstrahlen rauskamen und ich tagein tagaus im Büro arbeiten musste, wurde ich immer hibbeliger. Schnell merkte ich, dass irgendwas in meinem Leben fehlte, und wenn ich nach der Arbeit auf den Hof kam und dort noch etwas tun konnte, war ich glücklich! Es gibt immer wieder Zeiten, da sieht es in der Landwirtschaft nicht immer rosig aus. Meine Eltern haben mich da vollkommen unterstützt“, erzählt er weiter.

Thorsten hat während seines Studiums mit Schwerpunkt BWL umgesattelt auf Marketing Management und dieses Studium dann auch abgeschlossen. Dennoch war ihm während des gesamten Studiums immer klar, dass ihn die Landwirtschaft nicht loslassen wird. Er erzählt uns: „Nach meinem Studium habe ich ein tolles Jobangebot bei einem französischen Landtechnikkonzern in der Vertriebsleitung erhalten und hätte am nächsten Tag sofort anfangen können. Klar, finanziell wäre das natürlich sehr lukrativ gewesen, aber was nützt das ganze Geld, wenn ich nicht glücklich bin mit dem, was ich tue. Ich habe die Stelle abgesagt und entschied mich, auf dem elterlichen Hof durchzustarten. Ich fing an zu investieren und dann gab es auch keinen Weg zurück.“ Auf die Frage, ob er seine Entscheidung jemals bereut hat, folgt ein klares Nein!

„Ich bin jetzt 50 Jahre alt und sehe vielleicht jünger aus, dass kommt sicher von der frischen Luft hier oben im Norden!“, witzelt Thorsten. Und natürlich, weil er immer was zu tun hat. Los geht’s Anfang März mit der Lammzeit, es werden die Schafe geschoren und bevor sie raus kommen werden die Klauen geschnitten. Wenn die Schafe mit den Lämmern auf den Deich gebracht werden, geht es weiter mit der Erntezeit. Erst dann wird es für ein paar Wochen wieder etwas ruhiger. Und wie sieht es mit Privatleben aus? „Privatleben und Job sind für mich gleitend. Und eine Partnerin in meinem Leben sollte schon Verständnis für die Landwirtschaft haben. Wenn ich Single bin, dann arbeite ich natürlich mehr, als wenn ich in einer Beziehung stehe. Dann nehme ich mir gerne die Zeit für meine Partnerin.“

Thorsten Bargen hat studiert und hätte als Vertriebsmanager Karriere machen können. Doch der gebürtige Friese kehrte der Wirtschaft den Rücken und baute sich eine Existenz als Landwirt und Deichschäfer in seiner Heimat auf. Sein Ziel: glücklich sein. Seine Geschichte macht uns deutlich, wie wichtig es im Leben ist, das zu tun, was einen erfüllt. Wenn wir in Zukunft durch das Wangerland fahren, entlang der langen Deichlinie, sehen wir die Deichschafe ab jetzt mit anderen, „glücklicheren“ Augen.

Interview mit Thorsten Bargen und Video auf Luv und Lü

Autorin: Sylke Sdunzig

Fotos: Tom Tautz