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Sort Sol – Schwarze Sonne

Sort Sol – Schwarze Sonne

Sort Sol nennen die Dänen den beeindruckenden Himmelstanz, den riesige Starenschwärme zwei Mal im Jahr aufführen. Im Herbst kommen die Stare aus ihren Brutgebieten in Weißrussland, dem Baltikum und Finnland. Vor dem Weiterflug nach England und in den Süden rasten sie zwei Monate lang und nähren sich in den Salzwiesen des nahen Wattenmeeres oder auf den Äckern. Im Frühjahr fliegen sie die Route wieder zurück.

Die Kälte kriecht langsam an den Beinen hoch. Etwa 40 Dänen und fünf Deutsche warten seit eineinhalb Stunden auf die größte Natursensation in Süddänemark. Bei jedem Vogel, der vorbeifliegt, treffen Klaus Melby vom dänischen Wattenmeerzentrum fragende Blicke. Kommen sie jetzt? Nein, das war noch kein Star. Vielleicht kommen sie gar nicht, denn die Starenschwärme, auf die die Gruppe wartet, wechseln immer wieder den Standort. Klaus Melby unterhält unterdessen die Wartenden mit Informationen und lustigen Anekdoten. Neidische Blicke wandern zu denen, die gut vorbereitet sind und eine Decke mitgebracht haben. Dann geht ein Raunen durch die frierende Schar. Vom Wattenmeer her schwebt eine schwarze Wolke vor dem letzten Licht der Abendsonne. Sie bewegt sich auf das Feuchtgebiet zu, an dessen Rand die Gruppe schon so lange ausharrt, um die Sort Sol zu bewundern.

Kurz nach Sonnenuntergang suchen die Stare einen gemeinsamen Schlafplatz in einer der Marschwiesen auf. Bevor sie sich jedoch zu mehreren auf den meterhohen Stängeln der Gräser niederlassen, sammeln sie sich in der Luft. Ein Trupp nach dem anderen findet sich ein. Die Kälte spürt niemand mehr. Mit Spannung suchen die Zuschauer des Spektakels den Himmel ab. Da! Wieder nähert sich eine dunkle Wolke. Im Feuchtgebiet Øst å systemet südlich von Ribe sammeln sich 100 000 bis 200 000 Stare, in der Tøndermarsch vereinigen sich sogar fast eine Million Vögel zu einem Riesenschwarm: Eine Attraktion, die jeden Tag viele Naturfreunde anzieht.

Mittlerweile brausen Hunderttausend über die Köpfe hinweg, so nah, dass das Flügelschlagen deutlich zu hören ist. Die Wolke entfernt sich wieder, dehnt sich aus, zieht sich zu einem schwarzen Ball zusammen, der einen Wimpernschlag lang wie eine schwarze Sonne am Himmel steht. Die Ansammlung an Staren lockt Greifvögel herbei, die hin und wieder in den Schwarm stoßen. Das dunkle Gefüge streckt sich, biegt sich, vollführt ein „Ballett“. Trotz der Gefahr, gefressen zu werden, „tanzen“ die Stare mindestens eine halbe Stunde. „Das tun sie, um ihre Aggressionen abzubauen,“ sagt Klaus Melby. Stare haben eine Fluchtdistanz von 20 Zentimetern. Um Vogel an Vogel schlafen zu können, müssen sie die erst überwinden. Bis zu 15 Stare sitzen an einem Grashalm. Durch das Gewicht knickt er um, der nächste darüber und so weiter. Auf die Weise schichten sich die Stare übereinander, wodurch sie sich vor Feinden schützen. Deshalb also vollführen sie die faszinierenden Kapriolen zur blauen Stunde. Urplötzlich senkt sich der schwarze Schatten herab und verschwinden hinter einer Erhebung. Es ist ganz still. Die staunenden Beobachter können sich kaum lösen und schauen noch lange den leeren Himmel an.

Autorin: Martina Poggel

Führungen zur Sort Sol:

www.vadehavscentret.dk

www.sortsafari.dk