Entstehung der Nordsee
Die Nordsee ist zwar geologisch ein altes Meer, doch erst seit ca. 8.300 Jahren existiert sie in der heutigen Form. Die großen Klimaschwankungen des Eiszeitalters sind verantwortlich für die Entstehung des heutigen Schelfmeeres. Mal Land, mal Überschwemmungsgebiet, mal Brackwassersee und nun ein Randmeer des Atlantiks: die Nordsee befindet sich in einem dynamischen Entwicklungsprozess, der immer noch anhält.
Eiszeit
Zu Beginn des Quartärs vor 2,6 Mio. Jahren kühlte das Klima drastisch ab. In der Folge bauten sich mächtige Gletscher auf, die den Beginn des Pleistozäns, des Eiszeitalters, markierten. Auf ihrer Wanderung Richtung Süden trafen die Gletscher im äußersten Norden der Nordseeregion auf feste Gesteinsschichten. Sie waren auf der Höhe des heutigen Schottlands mit den Orkney- und Shetlandinseln und Südnorwegens infolge der Kaledonischen Gebirgsfaltungen im Erdaltertum vor 400 Mio. Jahren herausgehoben worden. Die Gletscherströme, eiszeitliche Verwitterung und Meeresströmungen hobelten die steilen Kliffs, Fjorde und Buchten heraus.
Weiter südlich bedeckte in der Vorgletscherzeit ein riesiges Flussdelta, das sogenannte Baltische Flusssystem, das Gebiet der Nordsee. Auch darüber rutschten die Eismassen in manchen Eiszeiten hinweg, in der Saaleeiszeit sogar bis zu den europäischen Mittelgebirgen. Sie hinterließen Geschiebe aus Skandinavien und feinen Ton, Schluff und Sand aus den Schmelzströmen der sich wieder zurückziehenden Gletscher. Aus der Saaleeiszeit blieb der oldenburgisch-ostfriesische Geestrücken, der sich im Borkum-Riffgrund fortsetzt.
Meeresschwankungen
Die sich voranschiebenden Eismassen banden das Wasser. Der Meeresspiegel sank. Zwischen den Eiszeiten sorgten die Warmzeiten für ein Abschmelzen des Gletschereises. Der Meeresspiegel stieg an und Meerwasser überflutete die Landmassen. Diese Meeresregression und –transgression genannten Prozesse wiederholten sich im Pleistozän. Sie waren die Ursache dafür, dass die südliche Nordseeregion im Verlauf mehrerer Eis- und Warmzeiten mal Festland und mal überflutet war. Zeitweise entstand sogar in etwa die heutige Küstenlinie. An den unterschiedlichen Strandebenen an der dänischen und südenglischen Küste sind diese Meeresschwankungen noch heute erkennbar.
Druckausgleich
Bis zu 3.000 Meter hoch waren die Eisschichten an den Polen. Auf der Linie Schottland-Norwegen erreichten sie eine Dicke bis zu 600 Metern und übten einen ungeheuren Druck auf die Gebirgsmassen im nördlichen Nordseegebiet aus. Beim Abschmelzen der Gletscher ließ der Druck nach und das Land hob sich im Norden an. Als Ausgleichsbewegung sank die südliche Nordseeregion ab. Die Kippachse verlief durch Dänemark und Südengland. Die Absenkung soll auch heute noch anhalten und zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen.
Die Nordsee wird ein Meer
Die letzte Abkühlung, die Weichseleiszeit, begann vor 117.000 Jahren und endete vor 11.560 Jahren. Sie leitete die Entstehung der Nordsee ein. An ihrem Höhepunkt vor 14.000 Jahren sank der Meeresspiegel auf 130 Meter unter dem heutigen Niveau. Der südliche Nordseeraum war eine Tundrenlandschaft, der mittlere ein brackiges Binnenmeer, in das ein riesiges Flusssystem entwässerte, der Norden lag unter Gletschern. Kontinuierlich zogen sich dann die Gletscher in der postglazialen Zeit, der Nacheiszeit, zurück und der Meeresspiegel stieg und steigt heute noch an, im letzten Jahrhundert um 20 bis 25 Zentimeter. Vor 10.300 Jahren verlief die Küstenlinie 65 Meter unter der heutigen von Mittelengland über den Nordrand der Doggerbank bis Schweden nördlich von Jütland.
Wirklich marine Bedingungen herrschten in der Nordsee erst, als sich der Ärmelkanal vor 8.300 Jahren öffnete. Große Geestkerninseln überragten das Meer in der südlichen Nordsee. Fast alle friesischen Inseln haben dieses Stadium durchlaufen, doch nur Texel, Sylt, Föhr und Amrum sind heute noch reine Geestkerninseln. Vor 3.000 Jahren wurden alle überflutet. Die Nordsee rückte weiter vor, Flüsse konnten nicht gut entwässern, Sümpfe und Moore bildeten sich, wurden wieder überflutet. Sie liegen heute teilweise unter dem Wattenmeerschlick. Die west- und ostfriesischen Inseln haben sich aus periodisch überfluteten Sandplaten mit dem Kräftespiel des Windes und der Strömung zu dünentragenden Barriereinseln entwickelt. Auffällig ist die symmetrische Verteilung der Insel- und Küstenformen beiderseits des Urstroms Elbe, für die Tidenhub und Strömungen verantwortlich sind. Erdgeschichtlich befindet sich die Nordsee in einer stabilen, aber dennoch dynamischen Phase, in der die Wandlungsprozesse wie Klimaveränderung, Meeresspiegelanstieg, Inselwanderung- und -bildung kontinuierlich weiterlaufen.
Autorin: Martina Poggel