Von der Marine ins Watt

Wattführung Hoogsiel

Spezial. Neues von „Luv & Lü“, dem Blog über Menschen aus dem Wangerland:

Nur wenige Autominuten vom Wangerland an der Nordsee entfernt liegt Ostiem, ein Stadtteil von Schortens im wunderschönen Friesland. In dem kleinen Örtchen mit seinen Idyllischen Bauernhäusern, umringt von purer Natur, lebt Arno Eckhoff mit seinen zwei Söhnen auf einem Resthof. Hier empfängt uns der 58-jährige, der allerdings eher aussieht wie Ende 40, in seiner blitzblanken Küche und macht uns erst einmal einen Ostfriesentee.

Arno liebt die Ruhe und ganz besonders die Natur und lebt inzwischen lieber hier. Und das, obwohl er als gebürtiger Dortmunder die raue Gegend der Zechen, den Menschenschlag und den Trubel durchaus schätzt. „Ein Weg zurück nach Dortmund kommt für mich nicht mehr in Frage, auch wenn ich gerne dort bin“, erzählt uns Arno während er den Kandis in die Teetassen legt. Als wir uns umschauen, sehen wir um die hundert Kaffeetassen an Wandhaken hängen. Auf den meisten prangen Flaggen und Logos von fremden Ländern sowie Embleme von Marineschiffen. „Alles Erinnerungen und Souvenirs. Die habe ich in den letzten 30 Jahren alle gesammelt, als ich als Soldat bei der Marine auf See unterwegs war“, sagt Arno.

Teepott Sammlung

Die ersten zwei Jahre seiner Bundeswehrzeit hat er in Flensburg beim Fliegerhorst verbracht. So richtig glücklich war er damit nicht und dachte sich: „Seefahrt ist besser, als am Flugzeug herumzuschrauben.“ Er ließ sich nach Wilhelmshaven an die Nordsee versetzen und fuhr auf den Fregatten dieser Welt zur See. „Diese Zeit habe ich geliebt, weil mich die Seefahrt zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Später hat mich die Liebe dazu gebracht, hier oben im Norden sesshaft zu werden. Die Beziehung hat zwar nicht gehalten, aber die Liebe zu dieser Region ist nach wie vor ungebrochen“, erzählt Arno weiter.

„Früher als ich Obermaat war, waren wir oft mit mehr als vier Jungs auf einer Kammer. Eng und zeitlich eingesperrt. Man brauchte schon eine große Portion soziales Engagement und musste auf die anderen Rücksicht nehmen. Hin und wieder wurde der eine oder andere Kamerad auch erzogen. Vielleicht wurde ich auch erzogen, aber das habe ich dann nicht mitbekommen. Durch Sport ließ sich vieles ausgleichen“, lacht Arno. Er ist ein aufgeräumter Typ, Marinesoldat eben. Sehr relaxt und organisiert. Als wir durch sein Haus gehen, wird schnell klar, dass er sich seine Vergangenheit ebenfalls bewahrt hat. Es gibt wirklich viele skurrile Dinge in seinem Heim, etwa Computer aus den 80er Jahren (die immer noch voll funktionstüchtig sind), Relikte aus der Marinezeit, die wir so noch nicht gesehen haben und uns an den Film „Zurück in die Zukunft“ erinnern.

Wattführer mit Gruppe in Schillig

Das Meer, seine Bewohner oder besser gesagt, das Wattenmeer und seine Wattbewohner, prägten Arno bereits damals. Und so ist er heute im Wangerland als Wattführer unterwegs. Aber wie wird man als Seemann, der ja in der Regel auf dem Wasser mit einem Schiff unterwegs ist, Wattführer auf dem Meeresgrund im Wangerland an der Nordsee? „Ich war 1989 bis Anfang 90er auf der Fregatte Augsburg stationiert. In Augsburg hatten wir eine Patenschaft mit einem Kinderheim; jedes Jahr kam eine Gruppe nach Wilhelmshaven zum Zelten. Wir haben die Kinder betreut mit viel Programm; einer der Programmpunkte war immer wattwandern. Ich hatte richtig Spaß daran und bin dann öfter auch mal mit Freunden zum Wattwandern gegangen. Irgendwann dachte ich, weil mir das so gut gefallen hat, das kannst du ja auch selbst! Und so habe mich informiert, wie man stattlich geführter Wattführer wird. In der Zeitung gab es eines Tages einen sehr interessanten Artikel von Holger Prüter, einem ehemaligen Wattführer im Wangerland, über seine Gruppe von Wattführern. Dann habe ich ihn einfach angerufen und ihm gesagt, dass ich Interesse habe. Und so bin ich nach meiner Prüfung in die Wattführergruppe Wangerland reingerutscht. Das war im Jahr 2007“, erzählt Arno.

Wir können uns vorstellen, dass man am Wasser besser denken kann. Dasselbe gilt auch, wenn das Wasser nicht da ist, wenn man sich am oder im Wattenmeer befindet. Was wir gerade denken, verraten wir lieber nicht. Jedenfalls stehen wir nun mit Arno in Schillig am Strand, und das Wasser ist weg. Ebbe. Ab ins Watt, heißt es jetzt für uns, obwohl es gerade noch geregnet und sogar gehagelt hat, als würde die Welt untergehen und wir eigentlich lieber einen heißen Kakao im schönen Strandcafé trinken würden. Aber der Gedanke ist gleich wieder verschwunden, denn plötzlich reißt der Himmel am Horizont schon wieder auf. Es wird sogar richtig warm. „Das ist normal hier oben an der Küste. Ich mache zwei bis drei Wattwanderungen pro Woche. Mal ist das Wetter schön, mal regnet es. Völlig egal, denn ich bringe den Menschen das Watt näher, die Natur und die Vielfältigkeit von Ebbe und Flut. Da wird das Wetter zur Nebensache“, erklärt Arno.

Wattwandern in Schillig

Da ist es wieder: Dieses Licht, das es nur am Meer gibt. Klare Luft, weiter Himmel, mal mit, mal ohne Wolken. Das Watt hat viele Facetten, ist leise und doch matschig, geheimnisvoll, ein wenig unheimlich und natürlich ein faszinierender Lebensraum für viele Tiere. Wir geben zu, nach ein paar Metern macht uns seine Art, „sein“ Wattenmeer näher zu bringen nicht nur Spaß, sondern wir sind stolz, ein so wunderbares Naturerlebnis erleben zu dürfen. Wer kann schon behaupten, mehrere Meter mit humorvoller, fachkundiger Führung über den Meeresboden gelaufen zu sein?

Arno führt Gruppen und meistens auch Schulklassen durch das UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer. „Schulklassen sind meine besonderen Lieblinge“, lacht Arno. „Es gibt in jeder Klasse einen ganz Coolen und einen Klassenclown. Der Coole mit den tollsten Sprüchen wird im Watt meistens so klein mit Hut, dass er die ganze Tour über am Rockzipfel seiner Lehrerin hängt. Der Klassenclown hört zwar zu, was ich sage, bleibt aber meistens nach zehn Metern schon im Schlick stecken und jammert. Ich darf ihn dann rausziehen. Danach ist der dann auch ganz kleinlaut. Deswegen gehe ich immer barfuß ins Watt. Nicht nur, weil ich Schüler aus dem Schlick ziehen muss, sondern weil es nichts Schöneres gibt, wenn der Schlick durch die Zehen hoch kommt“, schwärmt Arno weiter. Wir können dem nur zustimmen: Barfuß mit hochgekrempelter Hose fühlen wir uns am wohlsten.

Nach 30 Jahren als Soldat bei der Marine ist bei Arno noch lange kein Ruhestand in Sicht. Arno hat stattdessen Hummeln im Hintern. Er führt nicht nur mehrmals die Woche Menschen durchs Watt, sondern ist auch Sportwart; er gehört zum Geschäftsführenden Vorstand beim TuS Oestringen, einem Sportverein in Schortens. „Wer rastet, der rostet. Ich bin Vater von zwei Söhnen, der eine geht noch zur Schule und der andere studiert in Hamburg. Ich bin immer in Bewegung. Im Sportverein organisiere ich nicht nur alles Mögliche, ich spiele auch mit einer Männergruppe Fußball und Hockey und gehe zwei- bis dreimal die Woche zwischen zehn und zwölf Kilometer laufen. Als Hobbyläufer nehme ich gerne an Stadtläufen teil und jogge auch sehr gerne mit meiner Freundin in der Natur oder an der Küste entlang“, erzählt uns Arno.

„Im Wangerland an der Nordsee ist man eben nie weit weg vom Meer“, sagt Arno. Kein Wunder, dass ihn die Urlauber öfter darum beneiden, auf dem Meeresboden herum spazieren zu dürfen. Aber Arno geht es um weit mehr: Ihm ist es gelungen, den Menschen das Wunder Wattenmeer auf eine besondere Art näher zu bringen. Ihm ist es wichtig, dass Menschen, die mit ihm ins Watt gehen, dieses kostbare Gut bewahren. Er selbst tut etwas dafür, ohne nachzudenken – indem er sein Wissen weitergibt. Für ihn die selbstverständlichste Sache der Welt. Arno ist eben ein echter Wattkerl, mit dem man unbedingt mal ein paar Meter über den Meeresboden gewandert sein sollte.